Pfarrkirche Heilige Familie Jägerwirth

Das Patrozinium – die Heilige Familie

Im Kirchenjahr wird das Fest der Heiligen Familie am Sonntag nach Weihnachten gefeiert. Viele Darstellungen aus der Weihnachtsgeschichte beinhalten auch Abbildungen der Heiligen Familie: Es wird damit an Jesus, seine Mutter Maria und seinen (Zieh-)Vater Joseph von Nazareth erinnert. In der katholischen Geschichte beginnt die Verehrung der Heiligen Familie aber erst in der Neuzeit, vereinzelt nach dem 30-jährigen Krieg, richtig ausgeprägt aber erst im 19. Jahrhundert.

In seinem Vorwort zur Jägerwirther Pfarrchronik schreibt Pater Hermann Josef Zumsande: „Im Kulturkampf in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ging auch die katholische Auffassung von Ehe und Familie mehr und mehr verloren. Vor allem durch die Einführung der zivilen staatlichen Eheschließung am 01.01.1876 gab es immer mehr Fälle, in denen auf die kirchliche Trauung verzichtet wurde. Auch die zunehmende Zahl der Ehescheidungen machte der Kirche Sorge. Um solcherart Auflösungserscheinungen des kirchlichen Ehe- und Familienverständnisses entgegen zu wirken, bemühte man sich vonseiten der Kirche sehr stark, auf das Vorbild der „Heiligen Familie von Nazareth“ zu verweisen und bei ihr die Ideale der christlichen Familie zu betonen."

Neugotischer Baustil

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich der Katholizismus weitgehend von den Kriegen gegen Napoleon und der Säkularisation erholt. Mitgetragen wurde diese Renaissance von den Idealen der Romantik, die sich im Gegensatz zum Rationalismus der Aufklärung sehr stark am Mittelalter ausrichteten. Die Aufklärung hatte die Kunst verweltlicht und die Jahrhunderte alte Verbindung von Kirche und Kultur existierte nicht mehr. In der Zeit vor dem ersten Weltkrieg gab es somit kein eigenständiges, theologisch fundiertes Raumkonzept mehr für den Bau von Kirchen. Im Rückgriff auf  "verklärte Vorstellungen" vom Mittelalter wurden Kirchen deshalb im neugotischen oder neo-romanischen Stil gebaut. Allein im Bistum Passau entstanden zu dieser Zeit 51 neue Kirchen, dazu kamen zahlreiche Umgestaltungen und Vergrößerungen. Eine davon war die Jägerwirther Kirche (Foto), sie wurde im neugotischen Stil erbaut, einem auf die Gotik zurückgreifenden historischen Kunst- und Architekturstil des 19. Jahrhunderts. Für die Innenausstattung, besonders für Altäre und Kanzeln dieser neugotischen Kirchen, fertigte man aufwendig geschnitzte Werke. Auch die Glasmalerei erlebte eine Hochzeit (ein Zeugnis davon sind die kunstvoll gestalteten Kirchenfenster in Jägerwirth). Viele derartige Ausstattungsgegenstände der Kirchen sind Mitte des 20. Jahrhunderts aus unterschiedlichen Gründen wieder entfernt worden.

Neugotik in der Jägerwirther Kirche

In der Jägerwirther Kirche gibt es heute noch viele neugotische Spuren. Die Spitzbogenfenster ebenso so wie das Kreuzrippengewölbe, das sich durch das ganze Langhaus zieht, oder die Pilaster, die der Seitenwand vorgeblendeten Halbpfeiler. Weitere Zeugnisse sind das Hauptportal im Westen, und die beiden Seitenportale, sowie die kunstvoll bemalten und in Bleistege eingelassenen Glasfenster, mit dem wohl schönsten Motiv über dem Hochaltar, dem der Heiligen Familie. Auch der Hochaltar ist noch im Original erhalten, unverkennbar seine vom Architekten Julius Kempf beabsichtigte Anlehnung an den Turm von Schloss Egg bei Deggendorf.

Aber wie in vielen anderen Kirchen wurden im Laufe der Jahre auch in Jägerwirth sowohl an der Außen- wie in der Innenausstattung einige Änderungen und Modernisierungen vorgenommen. Die bedeutendsten seien hier kurz angeführt:

1923 wurde der Umbau der Kirchturmspitze beschlossen. Der Verputz an der Spitze des gotischen Staffelgiebels, der zu sehr Wind und Wetter ausgesetzt war, musste immer wieder erneuert werden. Deshalb wurde beschlossen, die Zinnen zu entfernen und einen neuen, gewöhnlichen Sattelturm zu installieren.

1975 wurde der Altarraum neu gestaltet. Eine Elektro-Bodenheizung wurde installiert, der Mosaikboden überfliest. Im Rahmen dieser Renovierung wurde das Chorgestühl an den Längsseiten des Chorraums entfernt. Ebenso musste die hölzerne Altarschranke (Chorschranke) weichen, die die für die Laien zugänglichen Teile der Kirche vom Chorraum trennte. Sie war mit gotischer Vierblatt-Ornamentik über die gesamte Breite ausgestattet.

1979 fand eine große Innenrenovierung statt. Die Sakristei wurde renoviert, sie war vollständig veraltet. Die Stufen zur Kirche wurden in den Sakristeiraum verlegt. Die alten Beichtstühle waren nicht schalldicht. Es wurden zwei neue Beichtstühle angeschafft, die unter der Empore ihren Platz fanden. Mit der Gestaltung des neuen Mittelaltars (bronzene Basis, Altarplatte aus Stein) und des Ambos wurde der Bildhauer Hirtreiter aus Gräfelfing beauftragt. Ursprünglich war vorgesehen, die Seitenaltäre zu erneuern. Da aber unter der Marmor-imitierten Gipsverkleidung der Putz schadhaft war, wurde nach der Putzerneuerung diese Gipsverkleidung nicht mehr angebracht. Auch die Altarmensa auf beiden Seiten musste wegen des minderwertigen Ziegelaufbaus entfernt werden. Nach einem Gutachten vom Diözesanbauamts wurde zudem der Pfarrei nahegelegt, die übergroße, zu niedrige und zu weit in den Raum hineinragende Kanzel zu entfernen, was dann auch umgesetzt wurde.

1984 wurde die neue Orgel feierlich eingeweiht, eine Schleifwindladenorgel mit 986 Pfeifen. Eines der vierzehn Register der neuen Orgel ist ein Zimbel-Register, das den hellen, frohen und freudigen Klang der Zimbel nachahmt, und die alte, pneumatische  Orgel aus dem Jahre 1916 ablöste.

Daraus wird ersichtlich, dass im Laufe von über hundert Jahren im Inneren und Äußeren der Kirche eine Reihe von Änderungen vorgenommen wurden und werden mussten. Aber trotz aller Verluste an Originalausstattung und mancherlei Ersatz durch modernere und zweckmäßigere Elemente: Die Jägerwirther Kirche ist ein gelungener Versuch, brachiale Stilbrüche zu vermeiden, vielmehr in einer gelungenen Symbiose Altes mit wenig aufdringlichem Neuen zu verbinden und damit den Charakter eines neugotischen Gotteshauses zu bewahren.